Interview mit Prof. Hannes Taubenböck vom Earth Observation Center (EOC) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) zur Stärkung regionaler Resilienz und Vorausschau im Ahrtal

Das EOC hat Rettungskräfte im Ahrtal innerhalb kürzester Zeit nach der Flutkatastrophe mit hochaufgelösten Luftbilddaten bei ihrer Arbeit unterstützt. Monitoring-Kapazitäten könnten auch beim Wiederaufbau und zur Stärkung des Katastrophenschutzes helfen.

Wir haben Prof. Hannes Taubenböck, Leiter der Abteilung „Georisiken und zivile Sicherheit“ des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) am DLR Earth Observation Center (EOC), zu einem gemeinsamen Workshop mit Teilnehmenden aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung in das Innovation Lab des Instituts eingeladen. Gemeinsam diskutierten wir mit Vertreterinnen und Vertreter des DLR-Instituts für Verkehrsforschung, des GeoForschungsZentrum Potsdam, der Kreisverwaltung Ahrweiler, des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität (MKUEM) und der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) über kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Stärkung regionaler Hochwasser-Resilienz und Vorausschau. Diese Maßnahmen finden Eingang in eine von IQIB initiierte praxisbezogene regionale Initiative zur Stärkung regionaler Resilienz und Vorausschau.
 

Interview

IQIB: Sehr geehrter Professor Taubenböck, lassen Sie uns gemeinsam auf die Ereignisse unmittelbar nach der Flutkatastrophe im Ahrtal am 14./15.07.2021 zurückblicken. Welchen Beitrag hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) damals in den ersten Tagen nach dem Ereignis geleistet?

Prof. Taubenböck: Unser zentrales Handlungselement in solchen Situationen ist das Zentrum für

Porträt Taubenböck

Prof. Hannes Taubenböck, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Earth Observation Center), Leiter der Abteilung „Georisiken und zivile Sicherheit“

satellitengestützte Kriseninformation (ZKI). Im Fall der Flutkatastrophe hat das Erdbeobachtungszentrum (EOC) des DLR aus eigener Initiative heraus Unterstützung angeboten. Wir hatten Glück, dass genau zum Zeitpunkt des Ereignisses – denn wir halten das nicht stetig vor - die entsprechenden Kameras bereits auf Hubschrauber sowie auf ein Flugzeug montiert waren, so dass wir bereits am 15.7 also unmittelbar nach der Flutkatastrophe, am 16.7 und am 20.7 über die betroffenen Gebiete fliegen konnten. Es wurden höchstaufgelöste Luftbilddaten aufgenommen – im Bereich von 10 Zentimetern Bodenauflösung. Diese haben wir dann dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sowie weiteren Entscheidungsträgern und Einsatzkräften sowie ergänzend in einem Webviewer zur Verfügung gestellt und auch erste Auswertungen vorgenommen, um die Lagebilderfassung vor Ort zu unterstützten. Diese war am Anfang in den betroffenen Gebieten sehr unübersichtlich: Man wusste nicht, welche Straßen noch befahrbar, welche Häuser betroffen sind – das betroffene Gebiet war sehr groß. Fernerkundliche Daten können dann eben schnell dazu beitragen einen Überblick über die Situation zu bekommen.

IQIB: Mit welchen besonderen Herausforderungen waren Sie konfrontiert?

Prof. Taubenböck: Es stellte sich beispielsweise heraus, dass der Webviewer vor Ort in den Katastrophengebieten nicht immer einsatzfähig war, da die Kommunikationskanäle teilweise zusammengebrochen waren. Deswegen haben wir gemeinsam mit dem BBK und dem Bayrischen Roten Kreuz (BRK) im alten Stil Karten zum aktuellen Lagebild oder zu Vorher-nachher-Situationen entwickelt, diese ausgedruckt und verschickt, damit sie für die Einsatzkräfte, zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz und das Technische Hilfswerk (THW), verfügbar sind.

Eine weitere Herausforderung stellte bei der Datengenerierung die Bewölkung dar: Aufgrund der Bewölkung lieferten optischen Satellitensysteme keine aussagekräftigen Daten von der Landoberfläche. Wir haben dafür mit Radarsatelliten von Sentinel-1 kartiert. Der Detailgrad ist bei diesem Verfahren allerdings weniger hoch und es besteht bei Satelliten generell das Problem, dass sie nicht immer im passenden Moment vor Ort sind. Radardaten im Spotlight-Modus können eine Auflösung von 5x5 Meter erreichen. Mit Sentinel-1-Daten erzielen wir dann zehn oder zwanzig Meter räumlicher Auflösung. Mit diesen Daten betreiben wir bei uns am DLR-Institut ein kontinuierliches Hochwassermonitoring. Das funktioniert großartig –städtischer Gebiete bleiben allerdings hier eine Herausforderung bezüglich der Genauigkeit. Durch die Schrägsicht der Radaraufnahmen kann man innerhalb von dichter Bebauung nicht überall auf den Boden, bzw. auf das Wasser schauen. Das System funktioniert aber gut beim Monitoring von Flüssen oder größeren Bachläufen. Aber, wie vorhin erwähnt, mit Hubschrauber und Flugzeug konnten wir unter der Wolkendecke fliegen und somit die Radar-Satellitendaten ergänzen. Dadurch konnten wir sehr schnell räumlich sehr hochauflösende optische Daten generieren.

Wir schauen uns zudem mit fernerkundlichen Daten über digitale Oberflächenmodelle an, wo Hochwasser hinfließen würde, denn dabei spielt die Topografie eine entscheidende Rolle. Schließlich klassifizieren wir aus unterschiedlichen Satellitendaten die Exposition von Siedlungsräumen. Diese Arbeiten finden im Rahmen von Forschungsprojekten statt, also nicht stetig. Eine Forschungseinrichtung verfügt somit in der Regel nicht über den Rahmen, akut zu helfen.  

IQIB: Das Erstellen von Lagebildern während Katastrophen weltweit gehört zu den Aufgaben im ZKI. Welchen Stellenwert nehmen die Überflutungen in Deutschland im Sommer 2021 im Vergleich für Sie ein?

Prof. Taubenböck: Wir helfen seit rund zwanzig Jahren mit Geo-Daten bei der Bewältigung von Krisen und Katastrophen weltweit. Zuletzt haben wir uns bei der Erdbebenkatastrophe in der Süd-Ost-Türkei und in Syrien engagiert. Trotz dieser langen Erfahrung hat die Flutkatastrophe im Ahrtal und den weiteren betroffenen Gebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen einen besonderen Stellenwert eingenommen, weil dieses Ausmaß der Katastrophe in Deutschland eher selten ist – und es einen auch persönlich sehr bewegt. Sehr oft sind diese verheerenden Katastrophen weit weg. In diesem Fall, aber hat es unser hoch entwickeltes Land verheerend getroffen. Ich denke, es hat uns als Gesellschaft schon auch wachgerüttelt, dass Naturgefahren auch bei uns nicht immer technisch und organisatorisch beherrschbar sind.

IQIB: Welchen Beitrag könnten Sie theoretisch im Rahmen des Wiederaufbaus und zu einer Stärkung der Hochwasser-Resilienz im Ahrtal leisten?

Prof. Taubenböck: Wir können die Exposition des Ahrtals gegenüber Hochwasserereignissen beschreiben. Mit der Erdbeobachtung lässt sich der Wiederaufbau im Ahrtal monitoren und wir hoffen natürlich, dass dieser so von statten geht, dass die Exposition geringer ist als vorher.
Zudem gab es in der jüngsten Vergangenheit einen Quantensprung in der Erdbeobachtung: Erstens stehen aktuell mehr Daten als jemals zuvor zur Verfügung – mit Hilfe von Drohnen, Hubschraubern und Flugzeugen sowie durch Satelliten. Daten sind also in nie gekannter Quantität verfügbar. Zweitens sind wir, seitdem die Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen in die Algorithmik Einzug gehalten haben besser, schneller und großflächiger geworden. Diese Verfahren erlauben es thematische Zielklassen, wie zum Beispiel zerstörte Gebäude und Straßeninfrastruktur sowie deren Schadensgrad, automatisiert mit hohen Genauigkeiten zu erfassen. Damit wird wichtige Information zum Lagebild schneller verfügbar sein. Das Wissen über Schäden an Straßen können Entscheidungsträger zum Beispiel beim Erstellen von Evakuierungsplänen nutzen.
Hier gibt es viele Ansätze für weitere Forschung: Es gibt zum Beispiel Netzwerke, die auf zerstörte Infrastruktur trainiert sind, allerdings bisher nur mit weltweiten Beispielen zu Katastrophenfällen außerhalb Deutschlands. Die KI muss in Zukunft für die lokalen Spezifika adaptiert werden, beispielsweise mit Daten aus dem Ahrtal, damit diese Netzwerke so adaptieren werden, dass sie im Katastrophenfall sofort großflächig mit hohen Genauigkeiten anwendbar sind – um dann nicht nur mit den Daten visuell zu agieren, sondern um zusätzlich auch Geoinformationen zu konkreten Schadensklassifizierungen zu liefern.

IQIB: In wenigen Monaten jährt sich die Flutkatastrophe im Ahrtal zum zweiten Mal. Ist die Region aus Ihrer Sicht inzwischen besser aufgestellt?

Prof. Taubenböck: Die Algorithmik ist optimiert und eine intuitivere Lagedarstellung ist möglich– aber die schnelle Verfügbarkeit von Drohnen, Hubschraubern und Flugzeugen zur Fernerkundung ist nach wie vor nicht gesichert. Das sind Kapazitäten, die noch nicht permanent vorgehalten werden. Der Aufbau einer Flieger- und Drohnenstaffel in Deutschland, die für solche Einsätze ständig zur Verfügung steht, wäre sicherlich eine Idee. Erste Fortschritte haben wir erzielt, indem wir mit Einsatzkräften und deren eigenen Drohnen eine echte Lageerfassung geprobt und trainiert haben. Aber in Prävention zu investieren ist immer eine Herausforderung.


IQIB: Welche Rolle spielt IQIB für Sie im Rahmen ihrer Aktivitäten im Ahrtal?

Prof. Taubenböck: IQIB stellt den Kontakt zu den Entscheidungsträgern und anderen relevanten Akteuren vor Ort im Ahrtal her und hilft, die unterschiedlichen Forschungsaktivitäten zu bündeln, um aus den verschiedenen Komponenten Projektideen zu entwickeln. Es gibt sehr viel Forschungskapazität in Deutschland, aber es fehlt an formalisierter Vernetzung. Konkret könnte für eine Stärkung der Resilienz des Ahrtals ein gemeinsames Projekt von DLR Earth Observation Center, dem Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (Anmerkung: Modellierung der Ausweitung von Hochwasser in der Fläche durch ein technisch einfaches, schnell arbeitendes Prognosemodell) und dem DLR Institut für Verkehrsforschung (Simulation von Verkehrsflüssen) unter Einbeziehung des Landkreis Ahrweiler als Bedarfsträger, IQIB als Vernetzungsplattform und in Abstimmung mit dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität sowie mit dem BBK aus meiner Sicht sehr hilfreich sein.

IQIB: Professor Taubenböck, wir bedanken uns für das interessante Interview.

Über das ZKI

Das ZKI wurde 2004 gegründet und ist eine Einrichtung des EOC des DLR. Das ZKI kooperiert im nationalen und internationalen Kontext mit verschiedenen Partnern aus Forschung und Industrie und ist eng mit behördlichen Partnern und Nicht-Regierungsorganisationen vernetzt. Es bedient derzeit vor allem die International Charter „Space and Major Disasters“ sowie den nationalen Rahmenvertrag mit dem Bundesministerium des Innern und Heimat (BMI).

Standardprodukte zur Krisenkartierung für deutsche Bundesbehörden übernimmt inzwischen der Satellitengestützte Krisen- und Lagedienst beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie und auf europäischer Ebene der Copernicus Emergency Management Service. Beide Services wurden vom ZKI maßgeblich aufgebaut. 

Weiterführende Links

Weitere Informationen zum Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) am Earth Observation Center (EOC) des DLR finden Sie hier.

Weitere Informationen zum Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) finden Sie hier.

Ansprechpartner am IQIB

Wigand Fleischer und Roman Noetzel